In der aktuellen Ausgabe des Ruprecht beschäftigt sich ein anonymer „Erfahrungsbericht“ mit dem Politikwissenschaftsstudium an unserer Universität. Der Inhalt ist schnell zusammengefasst: Die Politikwissenschaft sei eine brotlose Kunst ohne wirtschaftlichen Nutzen, deren Common-Sense-Theorien nicht alles und damit gar nichts erklären könnten und bis auf die Ausnahme weniger sogenannter „Sonderlinge“ vor allem Halbinteressierte anzieht. Autsch.
Der Fachschaft Politik tut dieser Erfahrungsbericht weh. Nicht nur, weil diese Erfahrungen nicht den Erfahrungen der meisten unserer Studierender entsprechen, wie Umfragen nach der Veröffentlichungen ergeben haben. Nicht nur, weil unsere Studierenden weder wenig politisch interessiert noch sogenannte „Sonderlinge“ sind. Nicht nur, weil diese ganze Ruprecht-Seite auch die kritische Auseinandersetzung mit politikwissenschaftlicher Forschung und Lehre in Heidelberg hätte aufgreifen können, die Fachschaft und Institutsleitung ständig führen. Sondern vor allem, weil die meisten von uns – Außenstehende mögen es kaum glauben – tatsächlich für unser Fach brennen.
Warum also wollen wir es doch nicht sein lassen?
Nichts entscheidet so konkret über das Zusammenleben von Menschen wie die Politik. Und sie ist mehr als die spitz formulierte Schlagzeile auf dem Titelblatt oder die hundertste phrasenreich nichtssagende Talkshow-Diskussion am Donnerstagabend. Wir studieren dieses Fach nicht, weil wir mit Fachwörtern über das Showgeschäft Weltpolitik diskutieren wollen, sondern weil wir verstehen wollen, wie unser Zusammenleben funktioniert.
Deshalb fasziniert es uns, wenn Demokratieforscher:innen untersuchen, warum wir mitten in einer Autokratisierungswelle stecken. Wenn Wahlforscher:innen untersuchen, wie demokratische Regierungen das Wahlrecht gezielt manipulieren und die Demokratie still aushöhlen. Wenn Konfliktforscher:innen untersuchen, wie der Ausbau des Straßennetzes mit der Anfällig für Gewaltkonflikte zusammenhängt. Wenn Forscher:innen aus den Internationalen Beziehungen mit künstlicher Intelligenz psychologische Profile von großen Staatsfrauen und -männern erstellen, um ihr Verhalten zu erklären und vorherzusagen. Oder wenn Policy-Forscher:innen danach fragen, warum wir uns in der Klimapolitik einfach nicht einigen können.
Um es einmal sehr plakativ zu formulieren: Wenn wir die Welt verbessern wollen, müssen wir die Politik verbessern. Und das schaffen wir nur, wenn wir sie verstehen.
Und natürlich sind die Inhalte unseres Studiums – wie bei allen anderen Studiengängen auch – vorwiegend Instrumente. Sie ermöglichen Karrieren in der Wissenschaft, der aktiven Politik, im Journalismus, in Ministerien und Verwaltung, bei Internationalen Organisationen, an Schulen, in der Beratung und in der Privatwirtschafts ermöglichen. Damit sind die beruflichen Perspektiven nach einem Politikstudium deutlich breiter als bei manch anderem Studiengang. Das hat natürlich auch eine dunkle Seite: In einem Labyrinth geht die Orientierung schneller verloren als auf einer Einbahnstraße. Einen Weg zum Ziel gibt es trotzdem.
Das Gefühl, das der Erfahrungsbericht versucht in Wort zu fassen, kennen sicherlich alle Studierenden, ganz unabhängig von ihrem Fach. Wir alle standen schonmal vor einem „Was lerne ich hier eigentlich?“, einem „Was bringt mir das?“ und einem „Wo soll ich damit hin?“. Gut möglich, dass diese Gefühle im breit aufgestellten Politikwissenschafts-Studium häufiger auftritt als bei Mediziner:innen. Dieses Gefühl deshalb zum Fakt zu stilisieren, der unserem Fach die Existenzgrundlage und unserer Studierendenschaft die Kompetenz abspricht, geht aber deutlich zu weit.
Und trotzdem müssen wir darüber sprechen, woher dieses Gefühl kommt. Und das tun wir auch:
Sollte die Heidelberger Politikwissenschaft stärker auf quantitative Forschung setzen? Braucht es im Laufe des Studiums mehr Einflüsse von Praktiker:innen aus Ministerien, NGO’s oder Internationalen Organisationen? Sollten Prüfungsformen flexibler werden und sich mehr an der Arbeit in solchen Institutionen ausrichten? Braucht es eine ganze Einführungsveranstaltung, die nur schemenhaft über die Teilbereiche unseres Faches fliegt? Sollte das Master-Studium mehr auf Tiefe als auf Breite setzen?
Das sind nur einige Punkt aus einer wirklich langen Liste, an der Fachschaft und Institutsleitung seit Langem gemeinsam arbeiten. Schade, dass nicht eine dieser Fragen Platz in dem Erfahrungsbericht gefunden hat. Kein Wunder also, dass der Text keine Diskussion über unser Fach und seine Lehre, sondern nur über seine eigene Form ausgelöst hat. Schade, denn die Bereitschaft zur konstruktiven Diskussion ist da – und war es immer.
In einem Punkt hat der Erfahrungsbericht allerdings Recht: Wer grundlegend unzufrieden mit dem Studium ist, wer das Gefühl hat, die Orientierung zu verlieren und nicht wirklich weiß, wohin die Politikwissenschaft führen kann und soll, kann und sollte Unterstützung suchen. Ob beim Career Service der Universität, im Gespräch mit den Dozierenden oder über Praktika. Eine Anlaufstelle fehlte allerdings: Wer über Forschung und Lehre am Institut diskutieren möchte, wer konkrete Kritik und vielleicht sogar Verbesserungsvorschläge hat und wer wirklich aktiv mitgestalten möchte, kann die Fachschaft Politik jederzeit kontaktieren.
Wir treffen uns jeden Montag ab 20 Uhr. Ihr seid herzlich eingeladen.
Hier der Link zum Beitrag im Ruprecht:
Powi – lasst es lieber